Sonntag: die Säge ruht

Residenznotiz #5, 31. Juli 2022, Kunsthaus Klosters

Nach einem harzigen Einstieg habe ich meinen Rhythmus gefunden und die Rohform der ersten Skulptur steht. Ein Video zeigt die ersten Skizzen und Schnitte und ein Bilderrätsel erinnert an frühere Zeiten.

Notizenüberblick, Infos zur Ausstellung

Es ist Sonntag, da wird nicht gesägt. Zeit für den Bildschirm und das Hüten der Ausstellung hier im Kunsthaus. Sind es wirklich erst drei Tage seit der letzten Notiz? Ich verliere das Zeitgefühl in der Klause zu Klosters. Die Anker des Alltags fehlen; ich pendle zwischen Sägen und Schlafen. Ja, klar, mit Spaziergängen, Einkaufen, Kaffeeklatsch und anderem.

Wer weiss, was das ist?
Dieses Gebäude atmet die besondere Atmosphäre von Schule, Kindern, Lehrpersonen und Abwart. Und weil es ein altes Haus ist, begegne ich Objekten, die ich lange nicht mehr gesehen habe. Auflösung am Ende des Beitrags…

Rauf und runter
Noch nie hatte ich einen so kurzen Arbeitsweg: vier breite Treppenflure runter, rein in die Sägemehl-Klamotten, ran an den Stamm. Vor dem Treppen-Abmarsch überlege ich mir jeweils gut, was ich auf dem Weg nach unten mitnehme. Dort lege ich parat, was wieder nach oben soll.

Einstieg: die ersten Schnitte
Mittwoch und Donnerstag habe ich erst einmal meinen Werkplatz eingerichtet. Die Säule am Vordach der Turnhalle sorgt für Stabilität, der Arbeitstisch aus dem Werkraum schafft die nötige Distanz.

Ich beginne mit Skizzen für die Positionierung der ersten Figur. Wo kommt der Kopf hin, welche Achse nehmen die Schultern ein, wie passen sich Wanderstock und «Chräze» auf dem Rücken ein? Nach ein paar Skizzen, die ersten Schnitte. Es kommt mir vor wie ein stetes Entkleiden der Walserin aus der Prättigauer Lärche. Achtsames Entkleiden, damit genau das stehen bleibt, was sie ausmacht.

Ich zeichne mit der Motorsäge. Feines mit den elektrischen, gröberes mit den beiden Benzinern. Elektrisch habe ich zwei, mit vorn zugespitztem 30 cm Schnitz-Schwert: Die mit Akku ist feiner dosierbar, die mit Kabel hat mehr Kraft.

Es harzt. Oder?
Am ersten Abend holt mich ein bekanntes Gefühl ein: Es harzt, ich bin müde. Eine Säge steigt aus, ich kann sie flicken. Dann fehlt plötzlich der Kasten mit dem Schlüssel für mein Werkzeuglager. Und ich weiss nicht, wohin mit dem Sägemehl und meinem Hunger.

Alles gut. Ich will die Zeit hier oben geniessen. Also tief einatmen, mir selbst wieder mehr Raum geben.

Wege öffnen sich. Im und ums Holz.
Am nächsten Morgen stehen zwei Gemeindearbeiter mit einem Anhänger auf dem Platz: ich könne meine Holzabfälle dort reinwerfen, sie holen ihn, wenn ich fertig bin. Ebenso fix kümmert sich die Gemeinde um den fehlenden Schlüssel, da ist er wieder. Wir Künstler werden mit grosser Freundlichkeit unterstützt, Danke Klosters!

Auch an der Walserin finde ich langsam meinen Rhythmus. Im Video eine knifflige Stelle, wo ich die Füsse unter dem Rock und hinter dem Stock «finden» will. Dabei wird das Schwert ziemlich heiss, die Lärche raucht.

Wer hats geahnt?

So sahen früher Notbremsen bei der SBB und WC-Spülschalter aus. Der Kasten hängt so weit oben, dass man problemlos noch eine Miniturbine zur Stromgewinnung ins Rohr bauen könnte, oder?

Inzwischen sind die heiklen Stellen der ersten Skulptur im Trockenen. Morgen geht’s ans Bereinigen einiger Proportionen und Verfeinern – nicht zu viel, nicht zu wenig.

#6 Auf dem Weg, mit Überraschungen

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Schreiben und Sägen? Umzug geschafft…

Residenznotiz #4, 27. Juli 2022, Kunsthaus Klosters

Ab in die Klausur: der Umzug ist geschafft, die nächsten Wochen wird gehackt, gepinselt – und geschrieben. Soweit der Plan. Mal sehen, wie viel Zeit dem Bildhauer für den Bildschirm bleibt.

Notizenüberblick, Infos zur Ausstellung

Gerade sitze ich im Zug nach Klosters. Zeit für die Eindrücke der letzten Tage – es ist viel passiert.

Packen, Fahren, Auspacken
Der Umzug ist geglückt. Gut, dass ich mir dafür zwei Tage reserviert habe. Beim Einpacken kam mir dies und das in den Sinn; den Benzin-/Öl-Kanister könnte man putzen, die Ketten auffrischen, dort noch was besser einpacken. Ich glaube, ich habe nichts vergessen.

Im Mietauto drin war alles schnell, zwei Stunden später ausladen beim Kunsthaus Klosters. Das grosse Steintreppenhaus lädt ein zum Hochladen, malen werde ich die Skulpturen im dritten Stock in einem ehemaligen Werkraum der Schule.

Im Garderobenraum der Turnhalle finden meine Maschinen, Werkzeuge, Besen und andere Hilfsmittel Platz. So kann ich ebenerdig raus unter das Vordach, wo ich heute meinen Werkplatz einrichten will.

Zapin und andere Helfer
In der ersten Woche habe ich einen Intensivkurs in Prättigauer-Dialekt begonnen – mit der Lektüre von «Zwiärggälä, Ärschlig und Burrä – Waldarbeit im Furner Tobel um 1940» (Link). Ich lese meine eigene Sprache – Dialekt – in einer fremden Form, die mich inspiriert und herausfordert. Wer Lust hat, kann hier im selben Dialekt mehr lesen über die Herausgeberin Marietta Kobald-Walli (auch in der Kunsthaus Klosters Steuergruppe).

Beim Lesen fragte ich mich: Was ist denn ein «Zapin»? Den packt man ein, wenn man zum Holzen ins Tobel steigt, schreibt der Autor. Seit gestern habe ich das Wort erfahren statt nachgeschlagen: Als «Züzi» packt man den besser auch in den VW Bus. Ohne Zapin (oder Sappie auf Wikipedia) wären die Lärchenrugel schön dort drin liegen geblieben.

Beim Einladen haben mich Duri und Mario mit ihren Maschinen und Muskeln unterstützt, merci RUWA Holzbau in Küblis! Mario lieh mir sein Originalstück, so wie man es heute nicht mehr kaufen kann. Beim ersten Rugel habe ich ziemlich rumgeeiert, bis das Werkzeug richtig eingesetzt war, siehe gegen Ende des Videos.

Jetzt stehen die Lärchenstämme beim alten Schulhaus, als wäre das ein Spaziergang gewesen. Wenn die rund 150 kg pro Stück mal stehen, ist das Herumbugsieren keine grosse Sache mehr. Vielen Dank auch an Christoph Luzi, der als Projektleiter Klosters 800 kurz von seinem Schreibtisch rüberkam, um mir zu helfen.

Morgen geht’s los mit Sägen. Und Schreiben?

#5 Sonntag, die Säge ruht

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Recherche: Arbeit oder Ferien?

Residenznotiz #3, 24. Juli 2022, Kunsthaus Klosters

Bin ich jetzt hier zum Arbeiten — oder zur Erholung? Letzteres lockt hartnäckig, gerade bei Sonnenschein. Doch ich bleibe dran, damit’s gegen Ende nicht knapp wird. Die Interviews sind abgeschlossen, das Holz gefunden und für den Platz zum Arbeiten sieht’s gut aus.

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Da liebe ich an meiner Arbeit: wenn sich Schöpfung mit Recherche verbindet.

Die Idee: Zugewandert
Zum Konzept meines Residenzprojekts: Ich will drei Porträts machen, die 800 Jahre Geschichte dieses Tales verbinden mit der persönlichen Geschichte von drei Zugezogenen. Ein fiktives Porträt zeigt eine Walserin, die vor rund 700 Jahren über den Wolfgang ins Prättigau gezogen ist, um sich hier mit ihrer Sippe eine neue Existenz aufzubauen. Dazu stelle ich zwei Personen, die im Jubiläumsjahr nach Klosters gekommen. Die Skuplturen sprechen für sich, etwas Text dazu vertieft den Unterschied von damals zu heute.

Interviews als Hintergrund
Mit zwei «Modellen» konnte ich persönlich sprechen und gleich Bilder machen. Dariusz Durdyn ist von Silvaplana nach Klosters gezogen, wo er Executive Chef des Viersternehotels Vereina ist. Hier will er neu ankommen und beruflich auf hohem Niveau weiterkommen. April Llibre hat gemeinsam mit ihrem Mann den Bergen von South Carolina adieu gesagt. Sie haben sich frühzeitig pensionieren lassen und wollen den Herbst ihres Lebens in Klosters verbringen. Die namenlose Walserin war in der ersten Gruppe, die um 1300 von Davos Richtung Klosters auswanderte. Der damalige Freiherr Donat von Vaz bot Landrechte im Schlappin, damit sie das hoch gelegene, bewaldete Gelände urbar machten, einen Zins lieferten und wohl den damaligen Säumerweg nach Italien absicherten. Um meine schöpferische Projektion auf die Walserfrau zu vertiefen, konnte ich mit Christoph Luzi, Historiker und Projektleiter Klosters800, sowie Peter Guler, Lokal-Historiker sprechen.

So wird man bei der Arbeit auch zum Feriengast: nach dem Gespräch mit Peter Guler in Monbiel bin ich zu Fuss über den Gadäwäg nach Klosters Platz promeniert. Eine der Schoggiseiten von Klosters, trotz Regen und hartnäckigen Brämen.

Lärchenstämme aus dem Prättgau
Die Gemeinde hat mir für die Arbeit Klosterser Holz vermittelt. Bei der Ruwa Holzbau in Küblis treffe ich Duri, der gerade in der Sägerei einspringt. Wir finden zwei passende Stämme, die bald abgelängt werden und zum Kunsthaus rollen.

Sägen beim Schulhaus
Schliesslich klappt’s auch mit dem Werkplatz: bald hacke ich neben dem Schul.., ääh Kunsthaus.  Als nächster grosser Schritt steht der Umzug bevor – mit Sägen, Ketten, Pinsel und Pigmenten. Die Packliste wächst, Infos folgen.

#4 Schreiben und Sägen? Umzug geschafft

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Anreise: Nestbau und Kennenlernen

Residenznotiz #2, 19. Juli 2022, Kunsthaus Klosters

Gepackt, gereist, angekommen. Mehr oder weniger. Und jetzt die vielen Ideen im Kopf es bitz entwirren, einen nach dem anderen aufnehmen, mit Bedacht.

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Reisen heisst erst mal entscheiden: was kommt mit, was bleibt hier? Bei sechs Wochen Distanz von Bett und Motorsäge es bitz anspruchsvoller. Doch halt: ich kann ja immer wieder runter fahren nach Zürich und etwas holen.

Lieber schwitzen als im Regen Rucksack, Bass-Ukulele und Koffer schieben. Interessant, dass für mich gerade immer alle Züge Richtung Graubünden voll sind, auch zu seltsamen Zeiten wie 11.38 an einem Montag?

Grüezi im Schulhaus

Konrad Gruber von Enzyan empfängt uns persönlich und auf der Wandtafel — merci!

Der Schulhausgroove zeigt sich. Das Haus ist riesig, die Treppen sind breit und zwischendrin höre ich die Kinder aus den Zimmern in die Pause stürmen. Erinnerungen an die eigene Zeit als Schüler. Und weil die Kinder ins neue Schulhaus gezogen sind, ziehen wir in die ehemalige Wohnung des Abwarts. Einfach, praktisch, liebevoll möbliert vom Kunsthaus-Team.

Nestbau: Auspacken, Einräumen, Organisieren — und Einkaufen. Alles zusammen stabilisiert mich, lässt mich ankommen. Seltsam, welch beruhigende Wirkung ein gefüllter Einkaufskorb mir schenkt. Und wohl auch normal; hier wird es mir stärker bewusst.

Zum Italiener, mit Kathrin und Bettina

Ein Highlight des Ankommens: sich kennenlernen. Wir sind zu dritt hier als Residenzkünstler*innen: Kathrin Severin wird zeichnen und Bettina Gugger schreiben. Ich freue mich auf besondere Wochen als WG-Gspänli und Mit-Arbeiter*innen. Noch schnell ein Selfie bevor wir das erste Restaurant in Klosters testen; Kochen wär mir grad zuviel.

Ausblick: das ganze Spektrum von Klosters

Zum Abschluss des Tages suche ich Bewegung, Stille und Weitblick. Bei jeder Weggabelung entscheide ich von Neuem, wie weiter — die Idee: weiter oben einen Platz zu finden mit Grün und Weite.


Dieses Panorama Richtung Gotschna zeigt einen Aspekt meines Residenzdorfes: Es wird gebaut, es gibt imposante Ferienresidenzen, dann doch noch Grasland. Am Rande der gemähten Wiese umflattern mich Falter, vor mir stehen sechs herrlich grosse Bäume. Ich grüsse sie und ahne, was sie als Zeugen der Entwicklung vom Walserdorf bis heute mitbekommen haben.

So, jetzt wieder zurück ins Schulhaus bei herrlichem Licht. Berg-Auszeit. Wer genau hinschaut, sieht oben auf dem Dach die Taube von Sonja Knapp.

#3 Recherche: Arbeit oder Ferien?

Notizenüberblick, Infos zur Ausstellung

Raus aus der Komfortzone

Residenznotiz #1, 10. Juli 2022, Kunsthaus Klosters

Was machen sechs Wochen Klosters mit mir? Wie ist es, als Künstler vor Ort zu arbeiten, fern von den gewohnten Atelier-Werkzeugen und -Einrichtungen? Wie viel lässt sich planen? Und wie wird das Leben in einer Wohngemeinschaft mit meinen beiden Mit-Künstlerinnen?

Notizenüberblick, Infos zur Ausstellung

Diese Fragen begleiten mich eigentlich seit dem Bescheid der Jury, dass mein Projekt „Zugewandert“ angenommen sei. Huch und Hurra zugleich. Das war Anfang 2022; ab heute will ich den Prozess der Konkretisierung festhalten. Deshalb dieser erste Eintrag in die Residenznotizen, weitere folgen in loser Reihenfolge.

Aus dem Grau ins Grün — ins Grau
Ich geniesse die Bahnfahrt raus aus Zürich. Mein Augen auf dem Bildschirm, links flitzt der Zürichsee vorbei, dann der Walensee.

Beim Umsteigen in Landquart kommt Ferienstimmung auf: schön, dass ich bald in den Bergen arbeiten werde. Die RhB nutze ich sonst für Freizeitfahrten. Das weite, grüne Tal vor Klosters ist eine Augenweide, der Städter in mir kommt runter. Und der will schon in Klosters Dorf umsteigen — wir sind ja im ehemaligen Primarschulhaus untergebracht. Kurz googeln: oops, Klosters Platz, lieber Zürcher! Sitzenbleiben.

Erster Eindruck beim Aussteigen: eng hier. Grosse Gebäude, viel Stein, Pseudogemütlichkeit, Parkplätze. Fertig mit grüner Wiesenidylle. Bei der Dorfkirche ein letztes Holz-Walserhaus und so ist das einfach. Schluss mit der touristischen Grün-Projektion, hier wird gearbeitet.

Das alte Dorf-Schulhaus steht an der Durchgangsstrasse, werden die Künstler-WG-Zimmer auf die Strasse sein, lärmig? Loslassen, verwöhnter Offenes-Fenster-Schläfer!

Menschen, Ideen, erste Resultate

Heute ist „Midissage“, eine Wortschöpfung der Veranstalter für das Zeigen der Arbeiten aus den ersten sechs Wochen. Andrea Züllig & Heiko Schätzle, Sagar Shiriskar, Ursula Engler sind fertig geworden und zeigen ihre Werke. Endlich treffe ich die Menschen, mit denen ich seit Monaten Mails austausche, persönlich. Erst beim Handschlag fällt mir auf: zu jedem Namen habe ich mir ein Bild gezimmert — Konrad hat aber gar keine Glatze und auch keine Brille. Wie ist mein Unterbewusstsein bloss darauf gekommen? Rückgriff auf im Zentralspeicher abgelegte Stereotypen?

Die Führung durch die Arbeiten bietet den perfekten Anlass um zu schnuppern. Wo werde ich sägen? Geht das hier überhaupt? Schon mal in die Wohnung des ehemaligen Schulwarts schauen, wo die Künstler untergebracht sind?

Parallel zu den Residenz-Wochen wird eine konstante Ausstellung gezeigt. Sie gefällt mir, alle Zimmer auf den drei Stockwerken habe ich noch nicht gesehen; dafür bleibt Zeit.

So geht’s mir heute als bald zuwandernder Künstler. Passt zu meinem Projekttitel. Zuwandern heisst Veränderung; raus aus dem Routine-Komfort. In einer Woche bekomme ich meine Schlüssel und ein paar Anleitungen.

>>> #2 Nestbau und Kennenlernen

Notizenüberblick, Infos zur Ausstellung,