Aus dem Sehen schöpfen
Mensch sein heisst, zu tanzen zwischen Furcht und Hoffnung, Licht und Schatten. Dabei geht leicht etwas verloren: Der Raum, der nichts will, wo wir einfach sind.
Manchmal führen mich Bücher zu Erkenntnissen, die wohl irgendwo in mir geschlummert haben. Bis ich diesen Satz gelesen habe, «wusste» ich nichts von einem Raum, der nichts von mir will. Alle wollen etwas von mir – am meisten ich selbst.
«Es geht darum, dem Raum, der uns umgibt, mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Wenn man das tut, entwickelt sich ein Gefühl für Vertrauen, dass vor deinen Augen Raum existiert, der nichts von dir fordert.», sagt Chögyam Trungpa in «Über Kunst – Wahrnehmung und Wirklichkeit».
Hell, Dunkel und etwas dazwischen
Seither begleitet mich dieses Bild. Es gibt da diesen Raum in mir, den ich betreten kann. Für mich liegt er zwischen den Polaritäten, die mein Leben genauso prägen, lebendig machen. Als Mensch bin ich hinein geworfen in diese Welt aller Erscheinungen und Emotionen.
Wenn ich vor einem neuen Werk stehe, dann ist da erst einmal Hoffnung: es soll ein Meisterwerk werden. Diese unbescheidene Vorfreude kippt gerne in Furcht: Geht das überhaupt? Und wenn ich jetzt den falschen Schnitt mache?
Nun könnte ich zwischen Furcht und Hoffnung pendeln, Konzepte wälzen, gar nichts tun. Oder versuchen, die Hoffnung ein wenig zurück zu nehmen, damit die Furcht schwinden möge. Gedämpftes Hell, gedämpftes Dunkel, und alles wird ein bisschen einfacher?
Aus dem Sehen schöpfen
Der erste Schritt heraus aus irgendwelchen Vermeidungs- oder Stress-Strategien ist für mich Bewusst-Sein. Im Idealfall erinnere mich also an den Raum, der nichts will. Um ihn zu betreten, muss ich zuerst einen Schritt zurück treten. Manchmal genügen dazu ein paar bewusste Atemzüge. Oder ich muss raus aus dem Raum, in dem ich gerade stehe. Mich in der Natur verankern, Stille suchen.
Dort, wo ich nichts von mir will, kann ich sehen. Da haben sowohl Furcht wie Hoffnung ihren Platz, sie sind. Ich sehe sie, erforsche ihre Quellen, erkenne ihre Lebendigkeit und dass sie mich lebendig machen, so lange ich sie nicht einfriere oder anfeuere. Der Raum, der nichts will, ist voll von Liebe, absichtslos.
Aus diesem Raum heraus möchte ich schöpfen. Meine Kunst, meine Beziehungen, mein Leben. Denn dort beginnt ein Sehen, das nicht bewertet.