«Balance»: aus Dankbarkeit

Im November 2019 begann ich mit einer Serie, inspiriert von Dankbarkeit. Eine kurze Geschichte des Gleichgewichts zwischen Idee und Umsetzung, Dankbarkeit und Angst.

Auf dem Weg ins Atelier stand ich am Gleis und beobachtete die Menschen rund um mich: alle auf dem Weg zu ihrem Ziel. Die Augen aufs Smartphone gerichtet, die Zeitung, den Kaffeebecher in der Hand. Wie gut, dachte ich, dass wir alle ein Ziel haben. Und wie erstaunlich, dass gleich meine S-Bahn einfahren wird, wie jeden Morgen. Wie viele Menschen an diesem Gelingen beteiligt sind. Dankbarkeit kam hoch – und eine Ahnung: wie wenig es braucht, um alles zu kippen, wenn so viel zusammenspielt.

«Balance» war geboren, als Idee. Wir sind alle Expertinnen und Experten für Schräglagen. In meinem Kopf wuchsen Figuren auf einer schrägen Stele. Die eine blickt interessiert über die Kante, der andere macht ein Selfie, die dritte spielt mit dem Gegenwind.

Im Februar war die erste Vierergruppe im Holz gewachsen, siehe Video und Fotos «Schnitt für Schnitt, so geht das». Im Mai 2020 überraschte uns der erste Lockdown: der Bahnhof so leer wie die ganze Stadt, «Balance» ein täglicher Akt der Neuorientierung. Inzwischen sind acht Skulpturen entstanden, einige stehen bis April 2024 in Pontresina.

Gleichgewicht bleibt eine Herausforderung des Mensch-Seins, die Unwägbarkeiten gehen uns nicht aus. Erich Kästner legte diese Zeilen in seine «Lyrische Hausapotheke»:

«Wird’s besser
wird’s schlimmer
fragen wir uns alljährlich.
Doch seien wir ehrlich:
Leben ist immer
lebensgefährlich.»