Vom Nebel zur Quelle: Wer bin ich?

Ein Leben lang stellt sich die Frage: Wer bin ich? Wer es wagt, der Quelle zu lauschen, könnte eine neue Leichtigkeit entdecken.

Eine Aussage von Nietzsche hat mich viele Jahre zugleich inspiriert und verwirrt: «Es gibt in der Welt einen einzigen Weg, auf welchem niemand gehen kann, ausser dir: wohin er führt? Frage nicht, gehe ihn.»

Klarheit, jetzt!

Berührt hat mich die Wahrheit dieser Worte. Die stand im Widerspruch zu meiner fortwährenden Fragerei: Wohin? Was als nächstes?

Es gehört wohl zum Mensch-Sein, dieses ungeduldige Vorwärts, auch getrieben vom Aussen. Eltern, Lehrer, Partner, gesellschaftliche Ansprüche sagen uns, wer wir sind. Sie leiten uns mit Akzeptanz und Ablehnung.

Meist im Nebel

Heute weiss ich: Der Weg führt nach innen, zum Anschluss an die Quelle. Da sprudelt ein Wasser, in dessen Strahl nur ich stehe. Aus dieser Verbindung treten wir auf unseren einzigen Weg. Und stochern immer wieder im Nebel, fragen: Wie weiter?

Weil wir die einzigen sind mit diesem Anschluss, wartet die Klarheit in uns. Der Weg dorthin führt auch über den Austausch mit Anderen: «Der Mensch wird am Du zum Ich.» sagt Martin Buber. Äussere Antworten auf unsere Fragen, Zweifel, Ideen legen Fährten zur inneren Klarheit.

Drei Schritte zu Dir

Dein Weg könnte drei Schritten folgen:

  1. Fragen und Nebel geniessen
    Das hätte mir geholfen beim Aushalten des Nietzsche-Zitats: Mehr Geduld mit mir selbst, meiner Fragerei, meiner Sucherei, meiner Unsicherheit. Manchmal gelingt es mir gar, die Unsicherheit eines Übergangs zu geniessen. Mich darüber zu freuen, dass ich spüre: Etwas Neues steht an, und ich ahne noch nicht einmal dessen Konturen. Geholfen hat mir die Erkenntnis von Peter König, dass eine Quelle zu 80 Prozent ihrer Zeit im Nebel stochert; Klarheit schaffen gehört zu ihren wichtigsten Aufgaben.
  2. Den Austausch suchen
    Und wenn’s dann besonders bedrängend, unsicher, dunkel wird – dann mag ich schon gar nicht mit jemand anders darüber reden. Gelernt habe ich, es trotzdem zu wagen. Aus der Akzeptanz meiner eigenen Unsicherheit kann ich mich angstfrei mitteilen. Wenn das Gegenüber ebenso offen ist dafür. Und wenn ich Kontakte pflege, die Vertrauliches für sich behalten und auf Urteile und Ratschläge verzichten können. Oft wächst die Klarheit schon in mir selbst, wenn die Fragen zum Gegenüber wandern – anstatt in schlaflosen Nächten im Kopf zu drehen.
  3. Der Quelle trauen
    Wir alle haben unseren ganz persönlichen Zugang zur Quelle. Jeder kennt diese Momente, in denen Klarheit auftaucht. Und wir können nicht sagen, woher. Sie ist einfach da.

Aus meiner Erfahrung gibt es verschiedene Zugänge: Begegnungen mit der Natur, in Gemeinschaft, Liebe, Musik, Stille und bei allem, was wir mit den Händen tun. Da berührt mich meine Melodie. Die Quelle summt sie und lässt uns wohlwollend die Wahl.

Leinen los

Was ist Deine Erfahrung? Was klingt bei Dir an, womit magst Du experimentieren? Rilkes Gedicht «Über die Geduld» macht Mut und endet mit diesen Worten: «Es handelt sich darum, alles zu leben. Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich, ohne es zu merken, eines fremden Tages in die Antworten hinein.»

Foto: Marcel Bernet, Zürichsee Mythenquai