Das Prinzip der Quelle

Organisationen sind ein Zusammenspiel von Personen. Schwung entsteht, wenn alle in ihrer Kraft als Quelle stehen und ihren Raum bewusst einnehmen. Mit dieser Sicht verstehe ich einiges besser, was ich als Unternehmer, Coach und Künstler erfahre. Was bringt dieser Blick hinter Organigramme für dich, deine Art zu führen und deine Orientierung im Gesamtsystem?

Alles Lebendige entzieht sich einer abschliessenden Definition. Glück, Liebe, Erfolg kann man nicht festhalten, weder durch Taten noch durch Worte. Mit dieser Grundhaltung nähere ich mich der von Peter König entwickelten systemischen Sicht von Organisation, Führung und Zusammenarbeit.

Ich beschreibe, was sich mit meiner Erfahrung, meinen Zielen und Werten verbindet. Und ich forsche weiter; lerne auch aus Echos. Denn «wahr» ist nur das, was deine Erfahrungen, Absichten und Werte berührt.

Die Quelle: Mit ihr fängt alles an.

Wer ein Projekt, eine Organisation oder eine Beziehung beginnt, ist die Quelle dieses Systems. Sie übersieht das gesamte Quellgebiet, erhält alle relevanten Informationen für dessen Gestaltung und kennt den nächsten Schritt. Ja, es gibt nur eine Quelle. Das heisst nicht, dass sie alles tut, kann, weiss. Erst im Austausch mit Teilquellen erlangt sie Klarheit, mit deren Unterstützung erreicht sie die gesetzten Ziele.

Die Idee einer einzigen Quelle provoziert zwei gegensätzliche Projektionen: Man kann Quellen überhöhen oder abwerten. Überhöht werden sie dort, wo man sie als einsame Strippenzieher zuoberst auf eine Pyramide setzt. Vielleicht sieht sich diese Person selbst so – und alle auf den nächsten Stufen sind froh, dass sie dort alleine auf dem heissen Stuhl wackelt.

Abgewertet wird die Quelle, wo man im Kreis steht und so tut, als ob alle den gleichen Zugang zu grundlegenden Informationen hätten. «Bloss keine Chefs hier» – und doch richten sich alle nach einer Leitfigur. Auch die versteckt sich auf ihrer Visitenkarte gerne hinter einem witzigen Jobtitel.

Diese Gegensätze vereinen sich dort, wo die Quelle als Dienerin des Ganzen verstanden wird. Sie ist nichts ohne alle anderen – und alle anderen sind als Teilquellen angewiesen auf eine Gesamtausrichtung.

In diesem Sinn heisst führen, mit Klarheit dienen.

Die Aufgaben von Quelle und Teilquelle

Quelle und Teilquelle tragen die selbe Verantwortung – in einem jeweils anderen Feld. Denn für dieses Feld erhalten nur sie die relevanten Informationen. In Verbindung mit ihrer Quellkraft prägen sie die Ausrichtung, sie schaffen Klarheit, sie nehmen und geben Raum.

Als Trägerin des gesamten Felds ist die Quelle zuständig für

  • die Ausrichtung auf ihr ursprüngliches Bedürfnis und ihre Vision
  • die Entscheidung über den nächsten Schritt für das Gesamtfeld
  • den Entscheid über die Ausweitung oder Reduktion dieses Felds
  • die Wahl der direkt mit ihr verbundenen Teilquellen
  • die Abgabe der Verantwortung für die zugeteilten Quellenräume

Die Teilquelle ist zuständig für

  • die Ausrichtung des zugeteilten Quellraums auf ihr Bedürfnis und ihre Vision
  • die Entscheidung über den nächsten Schritt in diesem Raum
  • Anstösse für die Änderung ihres Teilraums
  • die Wahl allfälliger weiterer Teilquellen
  • die Abgabe der vollen Verantwortlichkeit für weitere zugeteilte Quellräume

Eine Teilquelle kann ihren Quellraum nur in Abstimmung mit der über ihr liegenden Quelle verändern: Diese weiss, wie sich die Reduktion oder Ausweitung in ihr Feld einfügt, es verändert.

Teilquelle vor Urquelle

Das Quellenprinzip ist auf sehr dynamische Weise hierarchisch, denn die Delegation ist total. Die Teilquelle steht in ihrem Teilraum über der Quelle. Ganz praktisch: Die Leiterin Corporate Communications steht für alle Entscheide in ihrem Feld über dem CEO. Denn die Informationen für den nächsten Schritt erhält nur sie. Im Austausch werden beide immer wieder zur Klarheit finden für die Entscheidungen im Gesamt- oder Teilfeld.

Das Prinzip der Quelle verlangt also eine tiefreichende Ermächtigung und ein Loslassen des Gestaltungsdrangs, der in die abgegebenen Räume hineingreifen will. Und gleichzeitig befreit es alle Beteiligten von Mikromanagement, dauernder Absicherung, Ballast im Abgleich.

Klarheit bei Gründung und Nachfolge

Bist du die Quelle eines Projekts? Wer in dieser Kraft steht, antwortet ohne Umschweife. Schwierig wird’s, wenn mehrere Menschen zusammen eine Initiative starten. Oder wenn die Unternehmensgründung Jahrzehnte zurückliegt, eine Nachfolge systemisch nicht vollzogen ist.

Bei gemeinsamen Gründungen kann der bewusste Fokus auf eine Quelle fehlen – man tut so, als ob immer alle zusammen den nächsten Schritt definieren. Unbewusst ist allen Beteiligten klar, wer die entscheidenden Informationen erhält und de facto das Sagen hat.

Nachfolgen gelingen, wenn die Quellkraft weitergegeben wird. Das bedingt ein Loslassen der Vorgänger, nicht nur formell durch einen Verkauf oder Ausstieg. Sie müssen ihren Zugang zur Quelle freigeben, den Platz verlassen, eine nachfolgende Person ermächtigen. Und diese Person muss ganz in die Kraft und Verantwortung treten; oft sind sie an einer «halben» Nachfolge ebenso interessiert und scheuen die alleinige Verantwortung.

Den Raum ganz einnehmen

Die häufigste Herausforderung, der ich als Coach und Berater begegne, ist der volle Einstieg in die eigene Kraft als Quelle oder als Teilquelle. Das hat mit der inneren Haltung aller am System beteiligten Personen zu tun.

Zusammenarbeit gelingt, wenn Teilquellen und Quellen ihre Räume beanspruchen und bekommen.

Oft wird Quellenraum unbewusst nie ganz abgegeben und nie ganz beansprucht. Ausweichen ist einfacher, als Klarheit zu schaffen. So fahren denn alle in Watte aneinander vorbei, wollen weder führen noch geführt werden und staunen über ihre Unzufriedenheit.

Das Schöne: Selbstheilung ist unausweichlich. Reibung, Schwierigkeiten, Scheitern führen immer zur Integration einer neuen Fertigkeit. Fertig sind wir nie.

Fünf Fragen für dich als Quelle

Wir sind alle Quelle und Teilquelle in den vielen Lebensbereichen, in denen wir Projekte, Spiele, Gespräche gestalten. Nimm etwas, das dich gerade beschäftigt. Wo du im Nebel stocherst. Konzentriere dich kurz auf dieses Projekt. Und dann gehe durch die folgenden fünf Fragen. Beantworte sie mit schneller Leichtigkeit. Du kannst auch dein Smartphone hinlegen und die Antworten frisch von der Leber weg aufzeichnen. Es könnte sein, dass du beim Abhören staunst.

  1. Nenne ein Projekt, von dem du Quelle oder Teilquelle bist.
  2. Nenne einen Aspekt dieses Projekts, bei dem du volle Klarheit besitzt.
  3. Nenne einen Aspekt, der schwierig ist für dich.
  4. Was kann dich dabei unterstützen?
  5. Was könnte dein nächster eleganter Schritt sein?

© Grafiken, Bild Marcel Bernet, Palü-Gletschersee